Lebensaufgabe erfüllt

 Unsere großen, gelbschwarz-gestreiften Verwandten sind ja bei Euch Menschen nicht sonderlich beliebt. Dennoch helfen sie, genauso wie wir, dabei mit, dass es von einigen Insektenarten nicht zu viele gibt. Denn das natürliche Gleichgewicht wird wie bei Euch Menschen von Angebot und Nachfrage bestimmt. Manche Tiere produzieren extrem viele Nachkommen, weil sie eben als Futter sehr gefragt sind. Von vielen Hundert Kindern kommen vielleicht nur ein oder zwei durch und können erwachsen werden. Fehlen aber die Fressfeinde, so überschwemmen sie die Pflanzen regelrecht mit ihrer Menge und sie werden dann zu Schädlingen.

Eigentlich würde die Natur das ganze dann wieder ausgleichen. Denn jeder hat eine Aufgabe und ist wichtig für das gute Funktionieren des Netzwerkes Erde. Gibt es ein Änderung, aktiviert sich das System und schaltet dann andere Fressfeinde oder Variationen ein, allerdings kann eine Veränderung auch mal länger dauern. Schlagartig per Knopfdruck von einem Moment auf den nächsten, das ist keine gute Art für Modifizierungen. Dabei ist die Fehlerrate viel zu groß.

Auch die Futterpflanzen würden eigentlich um Hilfe rufen – leider lasst Ihr Menschen nicht mehr zu, dass sie sich untereinander austauschen und unterhalten können. Oder ihr pumpt sie so mit Gift voll, dass wir als Pflanzenhelfer gar nicht mehr arbeiten können und elendig sterben. Ich frag mich nur, ob ihr es wie viele Raupenarten auch irgendwie geschafft habt, gegen diese Gifte immun zu sein. Oder seid ihr am Ende so dumm, und vergiftet Euch dann gar selbst?

Naja, dass müsst ihr Menschen selbst mit Euch ausmachen. Wir jedenfalls verlassen uns blind und vertrauensvoll auf die Natur. Und zum Glück gibt es immer noch Wildpflanzen, die das Sprechen nicht verlernt haben. Sobald sie angeknabert werden, rufen sie um Hilfe. Und wir aus dem Stamm der Wespen sind bei den Pflanzen daher besonders beliebt.

 

Gut mein Stamm ist zu klein, um eine Raupe oder eine Larve einfach zu schnappen, um sie als Futter für den Nachwuchs dann ins Nest fliegen zu können, dafür haben wir andere Qualitäten. Wer ein kleiner Jäger ist, muss sich schon einiges einfallen lassen. Von daher ist es gut, wenn man sich mit Fremdsprachen auskennt. Vor allem, was die Unterschaltungen in Zellen anbelangt, können wir gut mithören und mitreden. Daher kennen wir auch die geheimsten Wünsche dieser Tierchen. Und diesen Wunsch erfüllen wir ihnen. Sogar weit aus besser, als das ihre eigene Gattung dies zu Wege bringen könnte.

Wenn unsere Mama uns als Ei auf einer Raupe ablegt, beginnen wir uns darauf vorzubereiten sozusagen die Raupe zu kapern. Überaus einfühlsam gehen wir dabei vor. Ach, das seht ihr anders? Ihr glaubt, wir würden ihr einfach unsren Nachwuchs auf ihren Rücken aufbürden und sie anschließend so lange ausbeuten bis sie stirbt?

Nein, da überseht ihr das große Ganze.

 

Ja gut, wir sorgen dafür, dass Raupen sterben und somit nicht weiter die Pflanze auffressen können, aber wir sind deshalb keine Mörder. Ganz im Gegenteil, wir verhelfen einer Raupe dabei schon in sehr jungen Jahren Mutterglück zu erfahren. Und das nicht, in dem sie einfach nur irgendwo ein Ei ablegt, dessen Jungtier dann ganz allein irgendwie durchkommen muss. Nein, wir geben der Raupe die einzigartige Gelegenheit, uns füttern und beschützen zu dürfen. Sie darf unsere Nähe spüren, ganz nah, fühlen wie wir größer werden und wachsen. Dank unserer Hilfe darf sie voll und ganz in ihrer neuen Rolle aufgehen, bei der es nicht mehr um ein egoistisches Ich geht, sondern um eine alles verwirklichende Lebensaufgabe geht. - Und so etwas findet sich nicht sehr oft im Tierreich!

 

Klar, für alle ist es überlebenswichtig ihre Lebensaufgabe zu erfüllen, die da heißt: Nachwuchs zu produzieren und ihnen das Überleben zu sichern. Was darüber hinaus geht und ihr Menschen als Mutterliebe betitelt, diesen Luxus können sich wirklich nur die wenigsten leisten.

Auch eine Raupe würde dieses Wunder niemals kennen lernen. Denn wenn sie als Schmetterling die Elternschaft übernimmt, besteht dies nur im Eier legen. Mehr Gefühl ist da nicht drin!

Aber dank uns, braucht sie nicht übermäßig lange mit Überleben-Müssen-Ängsten durch die Welt zu wandern. Der Überlebenskampf ist für sie viel kürzer, dank der zeitlichen Beschleunigung erlebt sie schon sehr früh den eigentlichen Sinn ihres Lebens.

Wir geben der Raupe zu verstehen: Wir sind deine Kinder. Wir sind ein Teil von Dir.

Sobald wir uns eingesponnen haben, um uns zu verpuppen, hat die Raupe ihre Lebensaufgabe voll und ganz erfüllt. Sie braucht dann nicht mehr weiter Unmengen zu fressen, und sich als reine Fressmaschine durchs die Pflanzenwelt zu bewegen. Die Furcht davor selbst gefressen zu werden, ohne Nachwuchs gehabt zu haben, ist vorbei. Jetzt kann sie einfach nur die Welt um sich herum betrachten, sich Zeit nehmen und die Schönheit in sich einsaugen - vollkommen frei von jeder Art von Angst und Zwang.

Dass sie selbst eigentlich noch ein Kind ist, und weiter fressen sollte, um sich zu verpuppen, hat sie vollkommen vergessen. Zufrieden mit sich und ihrer Arbeit schlummert sie ein und wird niemals als Schmetterling neu erwachen können.

 

Obwohl, wenn ich den Gerüchten glauben darf, macht Ihr das auch vor allem bei Eurem eigenen Stamm! Mehr noch: Ihr manipuliert Eure eigene Art und verweigert ihnen dabei die Möglichkeit ihren wahren Lebenssinn zu finden und darin aufblühen zu dürfen.

Naja, ich bin eben nur ein kleines Insekt, und kann so was einfach nicht verstehen.

Karsten Eulophidae

Erzwespe