Ein Ritter ohne Furcht und Tadel

Mein Stamm ist unter all den vielen Wiesenhelden etwas ganz besonderes. Wir kämpfen sozusagen für Mutter Natur, wühlen uns durch alle Arten von Dreck und sorgen im Grunde dafür, dass die Pflanzen immer genügend Nahrung bekommen. Unser Outfit hat etwas von einer Ritterrüstung und so manche Metalle haben wir zum Fressen gern. 

Vor allem Schwermetalle, die dem Menschen so gar nicht bekommen, gehören dazu. Dank uns und unseren Verwandten den Springschwänzen können im Laufe der Zeit sogar stark kontaminierte Landgebiete wieder gesäubert werden. Wir fressen  das alles und unser Bauch wandelt die Stoffe dann in Humus um. Allerdings haben wir auch unsere Grenzen. Plastikmüll  können wir leider nicht verwerten und Pestizide sind auch nicht wirklich unser Ding, obwohl wir damit noch besser zurecht kommen, als so manches Insekt.

 

Kalk ist für unser Überleben so wichtig wie bei den Gehäuseschnecken. Dieses Material verleiht unserem Außenskelett den notwendigen Halt, um uns zu schützen. Doch der Panzer wächst nicht mit. Wenn wir wachsen, müssen wir uns daher regelmäßig häuten. Allerdings werfen wir unser altes Kleid nicht so einfach weg, wie das der Mensch tut. Wir sind Recycler durch und durch und verwerten diesen Teil genauso, wie alles andere, was wir finden. 

 

Zudem sind wir bestrebt in möglichst vielen Bereichen wohnhaft zu werden. Denn wir wissen Mutter Natur braucht für ihre Pflanzen Humus. Einige Stämme meines Clans, kommen sogar in Wüstengegenden ganz gut klar - und dort sind diese dann die einzigen die Humus herstellen können. Die beliebten Regenwürmer dagegen könnten dort nicht überleben. Allerdings wird das Überleben für die Ringelwürmer hier in Europa auch immer schwieriger. Die Überdüngung der Felder hat dazu geführt, dass es nicht nur ein großes Insektensterben gibt, sondern auch ein Regenwurmsterben. Wenn das so weiter geht, sind wir Asseln die einzige Hoffnung, so dass die Pflanzen entsprechend wachsen können. Auch wenn es heißt, dass der eine oder andere Jungkeimling von uns aufgefressen wird. Aber das nennt sich nun mal natürliche Auslese... nur die Besten bleiben auf dem Acker.

 

Auch bei den Menschen halten wir uns meist ganz gerne auf, in den Kellern ihrer Häuser. Doch sollte sich der Mensch weniger über uns Dasein ärgern. Er sollte viel mehr daran denken: Kellerasseln? Aha, der Keller ist zu feucht - das ist für mein Haus nicht gut. Da sollte ich entsprechende Drainagen legen, weil sonst mit der Zeit der Schimmel in den Mauern Einzug halten wird. 

Ich verstehe nicht, dass wir bei den Menschen so gar nicht gerne gesehen sind! Dabei sind wir doch die Saubermacher der Natur und perfekte Recycling-Maschinen. Wir könnten geradezu Vorbilder für jeden Menschen sein!

 

Schon als meine Vorfahren vor 260 Millionen Jahren noch im Meer gelebt haben, waren sie recht emsig beim Fressen und nicht gerade wählerisch, was das Futter betrifft. Wir gehören nämlich nicht zu den Insekten. Wie haben keine 6 Beine sondern 14 Beine. Wir Asseln zählen zu den Krebstierchen - und die hat so mancher Mensch zum Fressen gern. Uah... zum Glück werden wir nicht lebendig in heißes Wasser geworfen und müssen auf quälendste Weise verenden. Dafür schreit aber gern mal so mancher Mensch auf, wenn er einen von uns bei sich im Keller findet.

 

Dabei sollte der Mensch sich lieber Gedanken machen, welch grandiosen Schritt wir Asseln getan haben, um an Land überleben zu können. Wir haben nämlich wie die Fische Kiemen. Als es dem Menschen zum ersten Mal gelang, mit einem Tauchgerät unter Wasser atmen zu können, da war das schon etwas Außergewöhnliches - und das ist nicht mal 300 Jahre her. Wir Asseln dagegen leben bereits seit Millionen vor Jahren mit einer Art Tauchgerät, das an Land das Wasser sozusagen simuliert. Gut, im Laufe der Zeit haben wir Kellerasseln auch an unseren Beinen Luftatmungssystem zusätzlich entwickelt, das auch Insekten haben.

Ich als Weibchen habe sogar am Bauch eine Wassertasche, in den meine Eier hinein kommen und so wie in einem Aquarium heran reifen können. Mein Nachwuchs schlüpft im Grunde erst, wenn sie aus dem Ei geschlüpft sind - als lebendes Jungtiere. Und wir bleiben gerne noch ein Weilchen zusammen als Familie. Da kann man ja so viel von einander lernen. Wir mögen Gesellschaft. Wir wissen wie wichtig Zusammenarbeit ist. Und dazu braucht es keine große Publicity. Wir arbeiten gerne im Dunkeln und tun unseren Dienst - im Grunde wie die, bei den Menschen beliebten, wenn auch imaginären Heinzelmännchen.

 

Tanja Vielkönner, Kellerassel